Social Networks und neue Formen der Kollaboration

Autor: Philipp Schaumann - Letzte (ganz leichte) Aktualisierungen: Anfang 2023

Einiges hier ist deutlich in die Jahre gekommen (aber nur begrenzt falsch, auch wenn die Beispiele etwas älter sind - die Lage ist eher etwas dramatischer geworden). Über ganz aktuelle Entwicklungen berichte ich monatlich in meinen Newslettern, die im Newsletter-Archiv alle zu finden sind.

Meine Definition von Social Media (oder Social Networks)

Was ist meine Definition von Social Media (oder Social Networks): Alle Websites auf denen oder mit deren Hilfe Benutzer (die sich typischerweise nicht direkt kennen) mehr oder weniger direkt miteinander interagieren. Dazu gehören vor allem die großen wie Facebook, Instagram, Twitter, Tinder, Xing, LinkedIn, Youtube, aber auch viele andere, wie z.B. die Foren, wie z.B. von Zeitungen (z.B. dem Standard in Wien - angeblich das größte deutschsprachige Forum) und viele Blogging-Websites, gehostet mit Software wie Wordpress

Ebenfalls zu Social Networking gehören Selbsthilfeplattformen zu ganz vielen Themen (z.B. für Self-Tracking) und Nachbarschaftsforen die in vielen Städten entstehen (z.B. 'Schau.auf.Linz'). Aber auch viele andere Verkaufsplattformen bei denen Benutzer Kommentare oder Wertungen abgeben können (und dabei selbst gewertet und gerated werden), wie z.B. eBay, Amazon, u.ä.

Die Szene wird weitgehend bestimmt von einigen ganz großen Betreibern, daneben gibt es aber auch viele kleinere Initiativen, privat oder von lokalen Plattformen. Die großen Betreiber sind zumeist US-Anbieter und extreme Datensammler (China ist aber auch auf diesem Gebiet im Kommen). Die großen Konzerne haben ca. 2001 das Geschäftsmodell geschaffen, dass die Angebote (scheinbar) kostenlos sind, die Nutzer aber mit ihren Daten bezahlen. Die Dominanz der großen Betreiber resultiert unter anderem aus dem Netzwerkeffekt, auch genannt Metcalfesches Gesetz - d.h. Benutzer gehen in das Social Network, in dem ihre Bekannten bereits sind.

 

Kritische Stimmen zu Social Media - die Themenliste

Ab ca. 2017 und zu Beginn 2018 häufen sich die kritischen Stimmen zu Social Media (und ihren großen Betreibern). Immer mehr Menschen sehen in Social Media und der Dominanz der großen (US) Internetkonzerne ernsthafte Probleme für unsere moderne Gesellschaft. Der Begriff "techlash" wurde dafür geprägt, eine Variation zu "backlash", d.h. einer Stimmung gegen etwas.

 

Monopolisierungen auf vielen Gebieten

Die kritischen Themen in Bezug auf die großen Konzerne die die Betreiber der großen Social Media-Angebote sind betreffen z.B. die Monopolisierungen auf vielen Gebieten, wie z.B. die Dominanz von Facebook und Google bei der Verbreitung von Nachrichten und bei Online-Werbung und Amazon im Handel.

Bei Google wird die hohe Dominanz bei Suchanfragen kritisiert, die dazu führt, dass jede Herunterstufung eines Unternehmens bei Suchanfragen (von Seite 1 zu Seite 2) zu einer Krise das Unternehmens führen kann. Das "Gefunden-Werden" ist für fast alle Unternehmen heute überlebenswichtig. Die beiden Themen gemeinsam können leicht zu einer Krise der traditionellen Medien führen, was wiederum auf die Möglichkeiten, sich breit zu informieren einen großen Einfluss hat.

Bei Online-Werbung hat Google im Juni 2017 durch die EU-Komission eine Strafe von 2,42 Mrd. Euro für Bevorzugung der eigenen Dienste bekommen - weitere Strafen wurden verhängt. Ein Randaspekt von ist die Steuervermeidung durch die US-Konzerne. Fragen zu den immer stärker werdenden Dominanz der Internetkonzerne (bis jetzt der US-Konzerne, aber China holt auf) behandele ich weiter unten.

 

Die sog. Filterblase

Mit diesen Monopolstellungen eng verbunden ist die sog. Filterblase, d.h. die Auswahl von Themen und Nachrichten durch einen Algorithmus die ein Nutzer sieht. Dies geschieht auf Grund der durch die jeweiligen Systeme bestimmten (angeblichen) "Interessen" des Lesers. Dies führt dazu, dass selbst bei einfachen Google-Suchanfragen Nutzer unterschiedliche Antworten bekommen, auf sie abgestimmt auf Grund von dem System gespeicherten früheren Anfragen. Jeder bleibt auf diese Weise in seiner eigenen engen Welt, sieht keine divergierenden Meinungen.

Politisch sehr relevant (und fragwürdig) ist der Einfluss von Social Media auf den politischen Diskurs und die Manipulationsmöglichkeiten durch Fake-Profiles und Twitter-Bots. Dies betrifft speziell die Manipulation der öffentlichen Meinung vor Wahlen und Volksabstimmungen, siehe Brexit und die Trump-Wahl. Alle diese Themen behandele ich weiter unten bei Fake-News und andere Beeinflussungen.

 

Das Suchtpotential

Außerdem wird Anfang 2018 das Suchtpotential von Social Media immer stärker thematisiert, siehe weiter unten. Es fällt speziell Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, extrem schwer, NICHT auf das Handy zu schauen, wenn es dort Pieps macht.

 

Hass, Stalking und Bullying

Und natürlich ist auch der Hass in den Foren und das leicht gemachte und mehr oder weniger anonyme Bullying ein Thema. Ein drastisches Beispiel ist der Selbstmordfall Megan Meier. Er stellt aber nur die Spitze des Eisbergs dar. Megan Meier, ein junges Mädchen, wurde von der Mutter ihrer Ex-Freundin mittels vorgespielter Kommunikation mit einem vermeintlichen Jungen in den Selbstmord getrieben. Auch aus England werden ähnliche Fälle gemeldet. Eine 18-jährige Britin wurde wegen einer Todesdrohung in einem Social Network zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Mehr zu Bullying und Stalking weiter unten.

 

Lynch-Morde wegen Fake-News

Das reicht bis hin zu Fällen, wo es durch Social Media Nachrichten zu Lynch-Morden kam. Auch bei dem Völkermord in Myanmar an den Rohingya in 2017 sollen die Hasspostings auf Facebook eine Rolle gespielt haben (das sagen UN-Beobachter). Weniger detailliert: Facebook löscht Falschmeldungen, die zu Gewalt führen können - leider schlechte Nachricht vom gleichen Tag: Doku enthüllt, wie Gewalt und Rechtsextremismus auf Facebook online bleibt. Ein BBC Journalist hatte sich im 'Content Moderation'-Büro in Dublin eingeschleust und dort gelernt, dass die Gruppe beim Löschen sehr restriktiv sein solle: ". . . denn sonst würden die Menschen das Interesse an der Plattform verlieren. Es geht am Ende des Tages nur ums Geld".

Alle diese Themen werden im Folgenden ausführlicher behandelt. Eine Zusammenfassung der Kritikpunkte bietet 2018 New Scientist How Google and Facebook hooked us '€œ and how to break the habit (leider hinter einer Paywall).

 

 

 

Der (freiwillige ?) Verlust der Privatsphäre

Ein weiterer (bereits älterer) Kritikpunkt ist der Verlust der Privatsphäre. Es wird uns erzählt, dass Social Media kostenlos sei, aber die Nutzer bezahlen mit ihren Daten. Die Nutzer haben zwar irgendwann mal die AGBs akzeptiert, haben aber keine Ahnung, was sie da im Detail alles genehmigt haben, siehe 2018: Studie belegt: User wissen nicht, was Facebook mit ihren Daten tut.

Die Konzerne verkaufen die Daten zwar nicht, dafür sind sie viel zu wertvoll. Aber sie ermöglichen anderen Firmen die Nutzung der ausführlich analysierten zum Teil sehr intimen Daten für Werbezwecke, inkl. politische Werbung und Agitation. Wie intim die Daten sein können, das beschreibe ich unter Klassifikation in Social Networks auf meiner anderen Website "sicherheitskultur.at".

Auf meiner "sicherheitskultur.at" geht es primär um Themen rund um Privatsphäre und Informationssicherheit. Ich beschreibe dort das Geschäftsmodell mit mehr Details: Werden unsere Surf-Daten verkauft oder wie läuft das eigentlich? Wie die Daten im Internet gesammelt werden beschreibe ich unter Spuren im Internet.

Der Weg in die Ratinggesellschaft auf Basis der Daten aus Social Networks
Das Sammeln aller unserer Daten ist kein Selbstzweck. Der primäre Grund ist der Wunsch nach immer gezielterer Werbung, und das geht nur dann, wenn die Menschen immer transparenter werden und präsise einzuordnen sind. Dafür werden die Daten weiteren Analysen unterzogen und aufbereitet für die kommerzielle Verwertung (inkl. einer evtl. stattfindenden De-Anonymisierung). Diese Themen finden sich unter dem Stichwort Rating-Gesellschaft: Der gläserne Mensch - überall bewertet und oft auch de-anonymisiert. Und das Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus erkläre ich an anderer Stelle auf dieser Website.

 

 

 

 

Das Suchtpotential von Social Media

Auslöser der Welle von kritischen Stimmen zum Suchtpotential von Social Media waren 2017 überraschenderweise ehemalige Manager aus den betroffenen Konzernen, z.B. Ex-Facebook-Manager Chamath Palihapitiya: "Meine Kinder dürfen diese Scheiße nicht nutzen" und Ex-Facebook Manager: Facebook zerstört die Gesellschaft. Sean Parker, einer der Gründe von Facebook sagt 2018: 'God only knows what it's doing to our children's brains'. Das sind harte Angriffe.

Die Behauptung dass Social Media süchtig (bzw. abhängig) macht, bezieht sich darauf, dass die Firmen aktiv versuchen, so mit dem Belohnungssystem des menschlichen Gehirns zu interagieren dass ein "Aufhören" einer Facebook-, Instagram- oder Twitter-Sitzung möglichst schwierig ist. Eine Untersuchung aus 2019 zeigt, welche Themengruppen am sichersten eine intensive Social Media-Debatte auslösen. Das sind Wut und Furcht, also 2 nicht sehr positive Gefühle. Diese Themen erzeugen die stärksten Kommunikationsbeziehungen zwischen einzelnen Teilnehmern.

Es gibt sogar Bücher darüber, wie man ein Produkt, z.B. eine Website oder eine App, möglichst suchtauslösend macht. Z.B. Nir Eyal "Hooked: How to Build Habit-Forming Products". Der Autor verwendet statt Sucht oder Abhängigkeit lieber "habit-forming", aber es geht um das was die Psychologie "nicht-substanzgebundene Abhängigkeit" nennt, so wie z.B. Glückspielsucht. Auch der ehemalige Produktmanager in Facebook, Antonio Garcia Martinez, verfasste ein Buch über die Manipulationsstrategien seines einstigen Arbeitgebers: "Chaos Monkeys: Inside the Silicon Valley Money Machine". Diese Techniken sind nicht ganz neu: in den 90igern wurde "behaviour design" und "persuasive tech" in Stanford entwickelt.

Eine sehr gute (deutsche) Zusammenfassung der Argumente rund um das Suchtpotential ist im Standard 2018:Smartphones: Sind soziale Medien gebaut, um süchtig zu machen? (der Artikel verweist auf viele andere Studien.) Ziel aller Social Media Angebote ist immer, dass die Nutzer möglichst viel Zeit bei ihnen und nicht bei der Konkurrenz verbringen. Lange Sitzungen der Nutzer bedeuten viele Möglichkeiten, Werbung zu platzieren. Und da die anderen Angebote ebenfalls sehr aktiv versuchen, den Nutzer zu halten, so ist es um so wichtiger, den Nutzer nicht zu anderen Quellen zu verlinken, in denen er sich evt. "verlieren" könnte. Lange Sitzungen bedeuten mehr Werbegeld.

Der ehemalige Google-Entwickler James Williams warnt: Soziale Netze funktionieren wie Glücksspielautomaten. Erreicht wird dieses Habit-Forming durch Aktivierung des Belohnungssystem des menschlichen Gehirns um eine maximale Verweildauer des Nutzers zu erreichen. Durch eine Dopamin-Ausschüttung bekommt der Benutzer eine "Belohnung", verglichen damit dass eine Taube gelernt hat, dass es Futter gibt, wenn sie einen bestimmten Knopf pickt. Jedes "Gefällt mir" gibt einen solchen Dopaminschub. Die Theoretiker wie der oben genannte Nir Eyal fassen das in den Phasen "Trigger, Aktion, Belohnung, Investition" zusammen.

Die Funktionsweise kann man auch so erklären: Für uns Menschen zählen positive soziale Kontakte zu dem wichtigsten was wir erleben. Social Media ködert uns, indem dort die Möglichkeit besteht, durch ein Posting positive Rückmeldungen zu bekommen, z.B. "Likes", Weiterleitungen, etc. D.h. die Nutzer posten einen Inhalt und warten dann (mehr oder weniger) sehnsüchtig auf Rückmeldungen. Jedesmal wenn das Handy eine Aktivität signalisiert, so könnte das eine (positive) Interaktion mit einer anderen Person sein. Das tut gut und schon spricht das Belohnungszentrum an.

Der Trick der Algorithmen der Social Networks ist, die richtige Menge an positivem Feedback zwischen die vielen anderen eigentlich uninteressanten Meldungen von Firmen oder eher unwichtigen Kontakten zu verstecken. Das ist so, wie wenn ein Glücksspielautomat eben immer mal wieder eine kleine Belohnung ausschüttet, so dass der Mensch immer wieder motiviert wird, nur noch ein bisschen weiterzuspielen, bzw. nun noch ein bisschen länger im Netzwerk zu bleiben - bestimmt kommt gleich eine positive Rückmeldung.

Dokumentiert wird dies wenn man die Anekdoten hört wie verzweifelt und frustriert die Nutzer oft sind, wenn auf das Posten eines Fotos keine Rückmeldung kommt. Nutzer "defrienden" andere Nutzer, wenn ein Kontakt fast nie Rückmeldungen auf Postings gibt - nicht mal ein simples "Like".

Wie wichtig für die meisten Menschen diese virtuelle Belohnungen sind zeigt sich in dieser 2017 Studie: Ein Drittel verbringt lieber Zeit mit dem Smartphone als mit Menschen.

2017: Wege aus der Smartphonesucht. Der Artikel listet eine Reihe von Strategien auf um die Nutzung von Smartphone und Social Media besser in den Griff zu bekommen. Vor allem Eltern sollten dies lesen um für ihre Kinder ein besseres Vorbild zu sein.

März 2018: Wieder ein neues Suchtangebot im Internet - die In-App-Käufe als Bezahlsysteme von Handyspielen bereiten Suchtberatern Sorgen. Diese eigentlich kostenlosen Spiele bieten für "kleine" Zahlungen Vorteile beim Spiel. "Der Spieler wird zunächst angefixt und mit Belohnungen zugeschüttet", sagt der Suchtberater, "Dann gehe es langsamer voran und dem Nutzer würden Vorteile gegen Geld angeboten".

 

 

 

 

Psychologische Wirkungen, z.B. Depression

Eng mit dem Suchtcharakter von Social Media hängen die psychologischen Wirkungen zusammen. Studien zeigen Korrelationen zwischen Depression bei Jugendlichen und der Nutzung von Social Media. Natürlich beweisen Korrelationen nicht was die Ursache und was die Wirkung ist. Aber wenn z.B. Werbung geschaltet wird für Teenager die sich wertlos fühlen, so liegt der Verdacht nahe, dass dies nicht positiv auf die Stimmung der Betroffenen wirkt. Auch Zielgruppen mit Gefühlen wie "niedergeschlagen", "ängstlich", "dumm" oder "überwältigt" werden den Werbern angeboten.

Bereits August 2013: Forscher haben gemessen, wie das subjektive Wohlbefinden von Facebook-Nutzer mit dem Abstand zur letzten Nutzung zusammenhängt. Dabei ergab ich der Zusammenhang, dass die Personen eine höhere Zufriedenheit berichteten, je länger der letzte Facebook-Besuch her war. Dies trat vor allem bei passiver Nutzung auf, d.h. bei Nutzern, die lediglich in den Profilen der anderen blätterten. Aktive Nutzer, die über die Platform direkt mit anderen interagierten, hatten diesen Effekt nicht. Der Verdacht ist, dass im Vergleich mit den tollen Meldungen (und Fotos) der anderen das eigene Leben evtl. eher 'eintönig' erscheint und mögliche Einsamkeit verstärkt empfunden wird.

Nov. 2015: Für eine Studie wurden Testpersonen auf Facebook-Entzug gesetzt: Study forced people to quit Facebook to see if it made them happier. Am Ende waren die Personen auf "Entzug" subjektiv etwas fröhlicher und weniger beunruhigt. Die Interpretation ist, dass das ständige Beschäftigen mit dem Leben anderer Personen nicht immer positive Auswirkungen hat.

Diese Studie hier will 2017 konkrete Hinweise auf Ursache und Wirkung der psychischen Zusammenhänge gefunden haben: Facebook and Twitter 'harm young people's mental health'. Die Studie sagt dass die Nutzung der Medien Gefühle von Unzulänglichkeit, Angst und Unsicherheit stärken. Den Zusammenhang mit psychischen Problemen hinterfragt ein anderer Artikel in 2017: Is modern life making today's teenagers more depressed? Dieser Artikel bezieht sich auf England und sieht zwar den Zusammenhang, aber nicht zwangsläufig Ursache und Wirkung.

2016 berichtet die NY Times, dass in den USA bei den 10-14 jährigen Selbstmord die häufigste Todesursache ist.

Zum Abschluss eine gute Nachricht: Es haben sich keine Korrelationen zwischen Snapchat, Facebook und Co und den Schulnoten nachweisen lassen. Aber: Jeder zwölfte deutsche Jugendliche gilt als computerspielsüchtig.

 

 

 

Die Konzentration auf wenige große Konzerne

Der Artikel ist jetzt bei Entwicklung des Internets.

 

 

 

 

Beeinflussung öffentlicher Meinung durch Fake-Profile und Bots

Spätestens seit 2016 und der Brexit-Abstimmung (sowie der Trump Wahl) wird der Einfluss einzelner Interessenten durch die Manipulation von Social Media immer mehr zum Thema. Die Algorithmen der Sozialen Netze bevorzugen Meldungen, die von vielen weiterverteilt werden. Dabei spielt natürlich der Wahrheitsgehalt keinerlei Rolle. Ergebnis ist dass möglichst wild erfundene Geschichten die höchste Verbreitung auf Facebook, Twitter und ähnlichen Plattformen bekommen. Das ist der Vorteil von Fake-News.

Zum Teil wurde dies bei Brexit und im Wahlkampf von "Amateuren" eingesetzt, die durch ihre zum Teil haarsträubenden Geschichten eine großen Zahl von Besuchern auf ihre Website gelockt haben und dann über die dort platzierte Werbung bezahlt wurden. Aber der Trick kann auch für die Manipulation der Bevölkerung in wichtigen Augenblicken genutzt werden.

Um einen möglichst großen Einfluss zu bekommen muss man (nur) dafür sorgen, dass das eigene Posting möglichst oft weiterverteilt, bzw. "geliked" wird. Dafür kann man am einfachsten sog. Bots einsetzen, d.h. Automatisierungen die eine große Zahl von meisten gefälschten oder gestohlenen Accounts kontrollieren, d.h. instrumentalisieren. Sehr gut darin scheinen einige russische Organisationen zu sein. Solche "fake follower" sind ein großer Markt, obwohl sie billig sind (kostengünstig gefälscht z.B. in den Philippinen oder Indien) werfen sie ordentlich Geld ab.

Viel mehr Details zu Fake-News, Fake-Followern und dem post-faktischen Zeitalter auf meiner anderen Website.

 

 

 

Cyber Stalking und Cyber Bullying

Eine andere Problematik in diesem Zusammenhang ist die wachsende Belästigung, die Cyberstalking genannt wird. Abgeleitet wird der Name vom Stalking, d.h. der Belästigung einer anderen Person durch Anrufe, unerwünschte Besuche, SMS, E-Mails und ähnliches. Das gleiche gibt es im Internet noch viel extremer. Da wird Name und Anschrift des Opfers in Dating-Sites eingetragen, oder in Diskussionsforen oder Chatrooms, es werden E-Mails im Namen des Opfers und eindeutigen Angeboten verschickt und oft damit dritte Personen zu einem nächtlichen Besuch beim Opfer eingeladen.

In der Hälfte der Fälle kennen sich Täter und Opfer, es handelt sich dann manchmal um eine ziemlich unangenehme Form der Rache für angeblich wiederfahrenes Unrecht, in der anderen Hälfte der Fälle sind es aber wildfremde Menschen, denen dabei übel mitgespielt wird.

2007: Hier noch ein Artikel aus dem Spiegel über Selbstmord nach Cyber-Mobbing - am Beispiel Megan Meier. Es geht um ein Mädchen, das von der Mutter ihrer Ex-Freundin mittels vorgespielter Kommunikation als vermeintlicher Junge in den Selbstmord getrieben wurde. Der Spiegel merkt dazu korrekt an:

    "vor zehn Jahren hätte das bedeutet, dass die Freundin zum "backstabbing" übergegangen wäre, Megan mit Gerüchten, Verleumdungen, mit Mobbing und Zickenallianzen Druck gemacht hätte. Im Jahr 2006 gab es für so etwas bessere Mittel: MySpace."

Anderseits geht so was mittels Social Networking effektiver. Viele der Täter glauben, dass sie anonym wären (was sie nie wirklich sind) und die werden dadurch noch gewissenloser. Außerdem war Bullying und Mobbing im 20. Jahrhundert oft auf die Schule und den Schulweg begrenzt, zu Hause war ein friedlicherer Freiraum. Heute "verfolgen" die Täter ihre Opfer rund um die Uhr über die Social Networks.

Hier noch ein Artikel zu diesem Fall: Friend Game - Behind the online hoax that led to a girl's suicide. Dies scheint nicht der einzige Fall zu sein, in dem Cyber Bullying zu einem Selbstmord geführt hat, auch es England werden Fälle berichtet.

 

 

 

 

Rollen und Funktionen des Internets - Meine Sicht aus den frühen Jahren des 21. Jahrhunderts

Letzte Ergänzungen diesem Teil: Juli 2017 (aber große Teile von hier bis zum Ende dieser Seite sind bis zu 10 Jahre alt)

Der folgende Text gibt einen Überblick über die positiven und negativen Aspekte eines Teilaspekts des World Wide Webs, nämlich der spielerischen Interaktion von Internet-Nutzern mittels Social Networking Websites.

Vorbemerkung: Es hat sich eingebürgert, den Begriff "Internet" auch dort zu verwenden, wo nicht das technische Datennetz gemeint ist, sondern die darüberliegende Struktur des "World Wide Web", w w w, das die eigentliche Funktionalität für die Präsentation von Informationen darstellt. Die gleiche Ungenauigkeit besteht natürlich, wenn vom "Netz" geredet wird (wie z.B. im Französischen üblich, "le resseau"). Auch ich verwende "Internet" und "Netz" oft, wenn eigentlich "World Wide Web" gemeint ist. Genauere Definitionen weiter unten.

Für mich kann die Rolle des Internets in der heutigen Welt in eine Reihe von Hauptfunktionalitäten gegliedert werden:

  • Zugang zu funktionellen Informationen und Daten, wie z.B. Fahrpläne, Wetterinformation, Börsenkurse, aber auch Produktinformationen

  • E-Commerce, d.h. das Sichten und Bewerten von kommerziellen Angeboten, das Kaufen und oft auch das Ausliefern von virtuellen Gütern

  • die technische Unterstützung der direkten Kommunikation zwischen Menschen, d.h. E-Mail, Chat, etc. Dies wird von den meisten Nutzern des Internets als die für sie persönlich wichtigste Funktion bezeichnet.

  • die Verbreitung von Unterhaltung, Informationen, Kommentaren und Meinungen zu Politik, Wirtschaft, Kultur, aber vor allem auch Klatsch und Tratsch. Das war früher eine reine Domäne großer Institutionen, denn die Verbreitung war eine kostenintensiver Prozess. Heute kann durch die Erstellung von sog. Homepages jeder seine Meinung, Weltanschauung, (vermeintlichen) Erkenntnisse einem größeren Kreis kund tun

Ein kurzer Kommentar zum letzten Punkt (bevor der Rest des Textes sich mit den durch das Internet ermöglichten Realisierung von "sozialen Netzen" beschäftigt):

 

Ein interessanter Kommentar zur Informationsflut durch das Internet kann in einen Text von Jorge Luis Borges hinein- oder herausgelesen werden, den dieser bereits 1941 geschrieben hat. Es ist eine Kurzgeschichte mit dem Titel "Die Bibliothek von Babel". Darin wird eine quasi unendliche Bibliothek geschildert, in der aber nur Bücher stehen, die aus Zufallstexten bestehen. Das bedeutet, dass die Bibliothek damit alle Bücher enthält, die je geschrieben wurden, oder in Zukunft geschrieben werden, oder geschrieben werden könnten, und die Antworten auf alle Fragen, die je gestellt werden könnten, sowohl die korrekten Antworten, wie auch die falschen Antworten. Gleichzeitig ist die Bibliothek aber natürlich vollkommen nutzlos, weil fast nie ein Buch gefunden wird, welches einen längeren sinnvollen Text ergibt, obwohl es solche Bücher zweifelsfrei geben muss.

Man hört (und liest) sehr oft Klagen, dass die jungen Leute nicht mehr lesen würden. In salon.com ist eine schöne Replik dazu (durch die Werbung durchklicken, dann gibt es einen Tagespass).

    "We're talking about 33 million Americans who are fluent in texting, e-mailing, blogging, IM'ing and constantly amending their profiles on social network sites -- which, on average, 30 of their friends will visit every day, hanging out and writing for 20 minutes or so each. They're connected, they're collaborative, they're used to writing about themselves.

    Link-Konventionen:
    Fette Links öffnen ein fremde Seite in einem neuen Fenster
    Blau hinterlegte Links bleiben auf der sicherheitskultur.at

    In fact, they choose to write about themselves, on their own time, rather than its being a forced labor when a paper's due in school. Regularly, often late at night, they're generating a body of intimate written work. They appreciate the value of a good story and the power of a speech that moves."

D.h. es wird sehr wohl auch heute noch gelesen, aber anderes und es wird vermutlich mehr (und freiwilliger) geschrieben als je zuvor. So viele Briefe wurden nie geschrieben, wie heute E-Mails geschrieben werden und auch ein SMS-Austausch und vor allem ein Chat-Kontakt ist eine Verbindung zwischen Menschen und stellt Beziehungen her und erhält sie.

An anderer Stelle berichte ich über die dunkleren Seiten des Social Networkings, z.B. Privatsphäreverlust und andere Gefahren.

 

 

 

Die Benutzer erzeugen einen sehr großen Teil der Inhalte des World Wide Web

Mitte 2005 besagten bereits Statistiken, dass von den damals geschätzten 600 Milliarden Seiten im WorldWideWeb, bereits 60% nicht von Firmen erstellt wurden, sondern von Privatleuten. Dabei sind z.B. diese Seiten auf meiner Website mitgezählt, alle Blogs, aber auch die viele Photosites, auf denen z.B. Babyphotos abgelegt werden.

Ein Kuriosum: 1995, zu den Anfangszeiten des Internets, sind die "Experten" noch fest davon ausgegangen, dass nur Content-Firmen wie Filmgesellschaften, Musikproduzenten, Fernsehketten, Zeitungsverlage fähig sein könnten, das WorldWideWeb mit Inhalten füllen könnten - Stichwort "content is king". Das hat z.B. dazu geführt, dass Sony sich ein Plattenlabel einverleibt hat. Heute zeigt sich zur Überraschung aller, dass die "Couch Potatoes", die damals nur passiv vor dem Fernseher gehockt haben, nun das Web mehr und mehr mit Inhalten füllen.

Juli 2005: Immer mehr Aktivitäten im Bereich Colaboration und "user-generated content". Neben einem weiteren Wachstum bei den Blogs gibt es jetzt neue Gemeinschaftsprojekte: Google Earth Software, die Satelittenphotos wiedergibt, wird in Zukunft erlauben, dass Benutzer sog. Annotations machen können, d.h. Beschriftungen von Objekten auf den Fotos, die die anderen Benutzer im Internet dann auch sehen.

New Scientist berichtet September 2006 in einem Artikel "Living online: This is your space" dass es für jüngere Menschen immer normaler wird, einen guten Teil ihres Lebens Online zu gestalten. Für diese Internet-Benutzer ist das Internet keine riesengroße Bibliothek mehr, sondern eine große Spiel- und Begegnungswiese, auf der ein guter Teil des wirklichen Lebens stattfindet.

Ein weiteres Beispiel sind Websites wie flickr.com bieten Fotosharing Services, jeder darf hochladen, alle dürfen kommentieren. Oder die Videosites wie youtube.com, wo jeder Videos hochladen kann und wo auf diese Weise zum Teil sehr überraschende Bekanntheiten entstehen.

Und weil immer alles auch ein neues Schlagwort braucht, so wird dieser Trend von vielen heute als "Web 2.0" bezeichnet, als die zweite Generation des World Wide Webs, WWW. Kritiker meinen, der Begriff ist eher ein weiterer Trick, um Investoren davon zu überzeugen, dass es sich um einen neuen Trend handelt, wo man unbedingt investieren sollte.

In diesem Zusammenhang sehr interessant: Darf ICH eigentlich fremde Inhalte auf meinen Seiten posten?, (z.B. in Social Network oder in Blogs).

 

 

 

Sozio-kulturelle Implikationen von Networked Publics

Die US-Forscherin danah boyd forscht sehr intensiv zu den Auswirkungen von Social Networking auf das Verhalten vor allem junger Menschen in den USA. Sie hat einen sehr guten Überblicksartikel über sozio-kulturelle Implikationen von dem was sie "Networked Publics" nennt geschrieben: Social Network Sites as Networked Publics: Affordances, Dynamics, and Implications (PDF). Hier fasse ich einige ihrer Erkenntnisse zusammen:

Der erste Punkt ist dass die inherenten Eigenschaften einer Kommunikationstechnologie die Interaktion stark prägen. Sie verweist dabei auf folgende 4 Haupteigenschaften, die bei einer digital vernetzten Öffentlichkeit heute anders sind als früher:

  • Persistence. Das heißt, alles was irgendwie ausgedrückt wird, wird automatisch und immer gespeichert und in vielen Fällen für immer archiviert, auch unbedachte Äußerungen (Text, Sprache, Bild, etc.) in speziellen Zusammenhängen. Früher waren fast alle Kommunikationsäußerungen vergänglich, heute sind sie auf Grund der überall und für fast jeden verfügbaren Technologien (zumindest potentiell) speicherbar
  • Replizierbarkeit: alle digitalen Inhalte lassen sich extrem leicht und einfach duplizieren und bekommen dadurch ein Eigenleben das nicht mehr unter der Kontrolle des Autors steht (hierbei ist mit Autor nicht nur der Schriftsteller gemeint, sondern jeder, der eine, auch noch so belanglose, Äußerung in einem digitalen Medium tut - jeder Nutzer von Social Networks im allgemeinen Sinne ist Autor und seine Inhalte können, notfalls mit Copy&Paste leicht repliziert werden). Die Frage, was eigentlich das Original einer Äußerung ist, ist oft nicht zu beantworten.
  • Skalierbarkeit: Die Öffentlichkeit jeder digitalen Äußerung ist (zumindest potentiell) unbegrenzt und sehr oft nicht vom Autor kontrollierbar, wie viele Menschen zu ihrem Leidwesen erfahren mussten deren Privat-Äußerungen auf einmal weltweit konsumiert wurden. Skalierbarkeit bedeutet auch, dass das frühere Privileg der Prominenten, zu einer großen Öffentlichkeit zu sprechen, heute mittels Youtube, Flickr, etc. theoretisch jedem offen steht, auch wenn es die allerwenigsten zu einer wirklich großen Öffentlichkeit schaffen.
  • Durchsuchbarkeit: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Seit es permanente Kommunikation gibt (z.B. mittels Büchern) gibt es Aktivitäten, etwas zu finden. Bei Büchern waren das separate gedruckte Indizes, heute sind es diverse allgemeine oder spezialisierte Suchmaschinen und das Konzept von der Nadel, die im Heuhaufen nicht mehr zu finden ist, greift nicht mehr (siehe mein Beitrag Scheinlösung: "Verstecken im Information-Overload.

Aus diesen neuen Eigenschaften ergeben sich neue Implikationen:

  • Unsichtbares Publikum: in der realen Welt wissen wir normalerweise (mit Ausnahme von Radio und Fernsehen) mit welchem Publikum wir jeweils kommunizieren. Wir stellen unseren Kommunikationsstil normalerweise auf dieses spezifische Publikum ein, z.B. durch Wahl der Sprache, der Komplixität der Darstellung, der verwendeten Bilder, etc. Dies ist in vernetzten Medien kaum möglich, denn durch die Persistence, die Replizierbarkeit und die Durchsuchbarkeit kennt der Autor sein wirkliches Publikum nicht mehr, da die Weiterverbreitung außerhalb seiner Kontrolle liegt.
  • Zusammenfallen der Zusammenhänge (Collapsed Contexts): normalerweise differenzieren wir unsere Äußerungen je nach Zielpublikum, bei einem unbekannten Publikum ist dies nicht möglich. Viele der Peinlichkeiten die im Netz zirkuliert werden beruhen darauf, dass ein anderes als das Zielpublikum die Äußerungen konsummiert oder dass das reale Publikum die Hintergründe (z.B. die Person) nicht kennt und daher die Äußerungen überhaupt nicht korrekt einordnen kann
  • Das Verschwimmen von öffentlich und privat: aus den hier dargestellten Effekten ergibt sich, dass die starre Trennung in öffentliche und private Äußerungen, die bislang noch weitgehend aufrecht erhalten werden kann (mit Ausnahme der Prominenten, die dieses Problem schon immer hatten) nicht mehr gelingt. Manche argumentieren daraus, dass damit die Privatsphäre tot ist, aber dass dies nicht so ist, stelle ich an anderer Stelle ausführlich dar. Das Konzept der Privatsphäre wird sich ändern (müssen), aber natürlich werden Menschen für die Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit Bereiche brauchen, die nicht öffentlich sind.

 

Kritische Stimmen zur angeblich großen Demokratisierungung im Netz - April 2012

Liebling, das Netz schrumpft, Einige Highlights vom lesenwerten Artikel von Martin Andree.

Der digital dream sieht ungefähr so aus: Jede Hausfrau kann einem Millionenpublikum ihre Meinung sagen. Dadurch entsteht eine durch und durch demokratische Welt, bei der die Medienkonzerne nicht mehr das Meinungsmonopol haben

Aber (hier die Zitate aus dem Artikel): schätzt man die Anzahl der weltweiten Websites auf etwa 150.000.000. Die Top-500-Seiten, also ein winziger Bruchteil des Angebots, erzielen aber 51 Prozent der Reichweite. Und die Top-10-Websites schaffen sogar 26 Prozent.

Das Netz erzeugt einen Winner-takes-all-Markt nach dem anderen: Ein paar Dutzend Blockbuster räumen riesige Marktanteile ab. Der Grund für diese ungeheure Konzentration und die gleichzeitige Benachteiligung der kleinen Anbieter liegt im Search-Layer des Netzes, dessen Algorithmen die starken Player bevorzugen. Popularität wird sofort belohnt und erzeugt so einen selbstverstärkenden Prozess: Das Populäre wird immer populärer, weil es populär ist. Traffic wird dementsprechend immer weiter verdichtet und konzentriert. Hinzu kommt, dass die User Inhalte immer mehr über Aggregatoren ('Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch . . .') und Hitlisten finden. 60 Prozent aller iPhone-Verwender suchen ihre Apps über 'Most popular Apps'. Wer es nie unter die Top 25 schafft, versinkt im Meer des Vergessens.

Das amerikanische Story-Portal Digg diente lange Zeit als Paradebeispiel für die neue Onlinedemokratie: Jeder User kann gleichberechtigt Artikel einstellen, die Beiträge mit den meisten Likes schaffen es auf die Front Page '€œ digital democracy in Reinform. Eine Studie zeigt nun: In drei Jahren wurden auf Digg mehr als 16 Millionen Textbeiträge eingestellt. Daraus schafften es bloß 0,7 Prozent, also etwa 111. 000 Artikel, auf die Front Page. Und der erfolgreichste Autor hat 3,2 Prozent aller Texte geliefert (mehr als 3000, mehr als drei Geschichten am Tag), die 24 wichtigsten sind für 20 Prozent des Contents zuständig. So eine Konzentration ließe sich in keiner großen Tageszeitung finden.

Das Konzept der Demokratisierung durch das Internet scheint ein Mythos zu sein. Es macht eben einen Unterschied, ob viele Individuen nur Content anbieten, oder ob dieser Content auch von irgendjemandem abgerufen wird. Uns fällt es schwer, diese Wahrheit anzuerkennen, weil die Unendlichkeit des digitalen Angebots unbestreitbar ist und weil die Medien uns immer wieder Einzelfälle auftischen, in denen David einmal Goliath geschlagen hat, von Justin Bieber bis Perez Hilton.

Deswegen muss man keine kulturkritischen oder technikfeindlichen Töne anschlagen. Die Explosion des Content-Angebots im Netz ist eine der umwälzendsten Segnungen unserer Zeit. Und diese Flut machte das Search-Layer im Netz erforderlich, welches die Konzentration erst hervorbringt. Genau diese Konzentration ist aber eine Größe, die sich kalkulieren und managen lässt.

 

 

 

 

 

E-Mail, Messaging, Chat Rooms

 

Wenn Benutzer gefragt werden, auf welche Nutzung des Internets sie am wenigsten verzichten könnten, so kommt E-Mail immer als die Nummer 1. Nichts ist für den normalen Menschen wichtiger als die Kommunikation mit anderen Menschen und da hat das E-Mail eine ungeheure Bedeutung erlangt. Manche beklagen den Untergang der Briefkultur, aber es wurde noch nie so viel kommuniziert wie heute, Entfernungen schrumpfen zu nichts, Kontakte mit weit entfernten Freunden und Bekannten können intensiver sein als mit anderen, die ganz in der Nähe wohnen. Mehr Details zur Nutzung des Internet gibt es in dieser Studie aus 2008 Die Zeit ist ein Nullsummenspiel.

Instant Messaging bietet eine noch direktere Kommunikation, da der zeitliche Abstand zwischen Frage und Antwort wegfällt. Es ist wie ein Dialog, nur eben getippt. Ich beobachte, dass auch viele Gegner oder Gegnerinnen der Kommunikation mittels Computer irgendwann die Möglichkeiten dieser Kommunikation entdecken. Mittels einer sog. Buddy-List gebe ich an, wer meine Anwesenheit im Netz "sehen" kann und mich ansprechen darf. Das sind normalerweise Menschen, die ich auf anderem Wege kennengelernt habe.

Anders sind da die meisten Chat-Rooms. Hier geht es eher um die offene Kommunikation, meist zu bestimmten Themenkreisen, Alters- oder Interessengruppen. Jeder kann teilnehmen, mithören, mitreden. Auch hier bilden sich Netzwerke, aber eher implizit, spontan, leicht vergänglich und ohne dass der Benutzer kontrollieren kann, wer seine Ergüsse liest und kommentiert.

Viele dieser Chat-Room oder Instant Messaging Funktionalitäten werden heute auch in den Social Networking Websites angeboten, unser nächstes Thema. Ein interessanter Unterschied zwischen den Chatrooms und Bulletin Boards im letzten Jahrtausend ist, dass damals anonyme Interaktion im Mittelpunkt stand. Jeder kommunizierte über "Nicknames" und das ganze hatte einen sehr spielerischen Charakter. Dies gibt es zwar heute immer noch, steht aber bei den Mainstream-Social Networking Websites nicht mehr im Vordergrund. Bei den meisten dieser Sites wird heute implizit oder explizit erwartet, dass jeder mit seiner realen Identität auftritt. Trotzdem bleibt natürlich das spielerische Element in einem gewissen Umfang erhalten und dies könnte evtl. eine mögliche Erklärung sein, warum so viel Privates unter dem richtigen Namen veröffentlicht wird. (Mehr dazu im Interview mit Maren Hartmann im Anhang von Social Computing: Study on the Use and Impact of Online Social Networking)

 

 

 

 

 

Social Networking Dienste: Facebook, Instagram, Tiktok, Xing, LinkedIn, und früher Google+, MySpace, StudiVZ und Co.

 

Eine Weiterentwicklung von Instant Messaging und Chat Rooms in Richtung auf explizite Netzwerkbildung waren dann zu Beginn des 21. Jahrhunderts die sog. Social Networkss. Beispiele sind das heute (noch?) dominante Facebook, Google Plus, Business Networks wie Xing und LinkedIn, und die heute nicht mehr wirklich aktuellen wie friendster.com, MySpace, StudiVZ, SchuelerVZ. Die Zahl der Teilnehmer, die solche Dienste berichten, ist riesig.

Bei den Social Networks geht es darum, virtuelle Communitities zu bilden und oft auch darum, möglichst viele Menschen zu "kennen". Das kann z.B. dadurch geschehen, indem man die Menschen "sucht", die man im "richtigen Leben" kennt und dann diese einlädt, die Profile miteinander zu verknüpfen, aber auch, indem man sich fremde Profile anschaut und die Personen dahinter einlädt, mein "Freund" zu werden. Ein typisches Vorgehen ist, sich die Profile der Freunde seiner Freunde anzuschauen, in der Hoffnung, dabei andere sympatische Leute zu finden. Oder wild-fremde Menschen finden sich über ihre Profile, indem sie sich entweder entsprechend interessant dargestellt haben oder auf denen gemeinsame Interessen aufscheinen.

Mittels "Freunden von Freunden" (FOF, friends-of-friends) entstehen schon nach kurzer Zeit riesengroße Netze von Menschen, mit denen ich zumindest einen gemeinsamen Freund habe - typische Facebook Nutzer haben sehr oft 300 "friends" und die Zahl der "friends of friends" ist dann 300 Quadrat. (Über die Benutzung des Begriffes "Friend" für eine so lockere Verbindung kann man sich natürlich beliebig streiten, aber dies ist eben der von den Begründern gewählte Begriff). Es gibt Theorien und Anzeichen, dass kleine Gruppen attraktiver sein können, mehr dazu im nächsten Abschnitt unter dem Stichwort Dunbar Number.

Was ist das Ziel von solchen Netzwerken? Manche Menschen sammeln bestimmt eine große Zahl von Freunden einfach nur um das Gefühl zu haben, connected zu sein. Aber rein praktisch bieten solche Netzwerke die Möglichkeit, andere Menschen für alle möglichen Aktivitäten zu finden, sei es Sport, Unterhaltung oder als Sexual- oder Lebenspartner. Auch Jobs sind über solche Netze schon vermittelt worden. Gleichzeitig bieten solche Netze die Möglichkeiten "Kleinanzeigen" zu schalten indem ich an alle diese "Freunde" Nachrichten sende.

Aber natürlich gibt es keine Abkürzungen zu einer wirklichen Verbindung mit anderen Menschen. Das was man normalerweise als "guten Freund" bezeichnet, entsteht natürlich nicht einfach so auf Grund einer solchen Vernetzung (höchstens kleine Kinder glauben, dass für den Aufbau einer Freundschaft genügt, zu fragen "willst du mein Freund sein"). Aber natürlich kann ein solches Netz eine gute Grundlage sein, sich mit anderen Menschen zu treffen (entweder real oder notfalls auch virtuell) und sie wirklich kennenzulernen.

Andererseits ist die Chance, über einen "neuen" Bekannten einen Job zu finden oder einen Dating-Partner, viel größer als über die alten Bekannten, mit denen das ja eh alles schon zig-mal besprochen worden war.

Eine US-Studie aus 2011 behandelt Social Networking Sites and Our Lives. Die Studie bestätigt auch die Ergebnisse vieler anderer Forschungen dass Facebook latente Beziehungen belebt. Im Schnitt hätten US-Nutzer 229 Facebook-Freunde, von denen sie aber nur drei Prozent niemals im Offline-Leben getroffen haben.

Ein Ergebnis dieser "Freunde-Inflation" ist, dass es bereits eine Reihe von neuen Social Networks gibt, die sich ganz gezielt auf kleinere Netze spezialisieren und Beschränkungen in der Netzgröße haben. Beispiele sind: GroupMe, Frenzy, Rally Up, Shizzlr, Huddl und Bubbla. Ein Artikel dazu: Social Networks Offer a Way to Narrow the Field of Friends.

2017 kommt ein (weiteres) Buch zum Thema Facebook-Friends heraus: "Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook". Die These des Autors ist: "Facebook-Freunde sind nicht nur echte Freunde, sie sind sogar viel bessere Freunde als die, die wir üblicherweise dafür halten". In der verlinkten Buchbesprechung sind ein paar mehr Details enthalten.

 

 

 

Warum der Boom von Social Network Sites?

Viele, die "ihre" Social Networking Website noch nicht gefunden haben, fragen sich, warum jemand sich die Mühe macht, ein Profil zu erstellen, zu pflegen und seine Zeit mit der Pflege virtueller Kontakte zu verbringen, wenn er oder sie doch richtige Freundschaften pflegen könnte. Die beste Erklärung, die ich bisher gefunden habe, ist: Die Teilnahme an einem Netzwerk, das Erstellen des Profils, der Aufbau und die Pflege der Kontakte ist ein Weg, sich seiner eigenen Existenz zu versichern, im Sinne von "ich habe ein Profil und Kontakte, also bin ich". Natürlich wäre ein eigener Blog noch eine viel bessere Möglichkeit, sich seiner Existenz zu versichern, aber das erfordert erheblich mehr Kreativität und Ideen, als aus vorgefertigen Fragen und Vorlagen ein Profil zu erstellen, Musik, Handy-Videos oder Fotos hochzuladen. Das ist eine Möglichkeit der Selbstdarstellung, die es fast jedem ermöglicht, eine eigene Identität auszudrücken. Und das ist heute wichtiger denn je.

Aktualisierung Juli 2009:
Eine sehr ähnliche Darstellung findet sich in einem Artikel zum Thema Aufmerksamkeitsökonomie, speziell im 2. Teil Die Aufmerksamkeitsökonomie und das Netz. Ich gehe nicht so weit, dass die Waren-Ökonomie tot sei, aber der Autor hat natürlich recht, dass die Aufmerksamkeit heute das Gut ist, das am knappsten ist. Überall ist Werbung, überall wird um die Aufmerksamkeit von jedem von uns gebuhlt und mit diesen oft kommerziellen Ablenkungen muss jeder konkurrieren, der die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen sucht (und das ist für Menschen überlebensnotwendig). Jedes Baby lernt dies direkt nach der Stunde der Geburt.

Die Inhalte der Massenmedien bestehen heute weitestgehend daraus, diese Bemühungen um Aufmerksamkeit von (mehr oder weniger) Prominenten zu vermitteln. Und in diesem Kampf um die Aufmerksam anderer versuchen heute fast alle mitzuspielen, bzw. sie müssen mitspielen, um nicht isoliert zu sein. So treten Politiker in Talk-Shows auf und diskutieren privateste Themen. Wer in einer Clique dabei sein will, muss nach den Regeln der Clique kommunizieren. Wer dies nicht tut, wer auf Emails nicht antwortet, wer sich weigert, eine persönliche Seite auf Facebook oder StudiVZ zu pflegen und dort an der Kommunikation teilzunehmen gilt in entsprechend aktiven Cliquen schnell als "irgendwie komisch" und wird ausgegrenzt oder grenzt sich durch sein Verhalten selbst aus.

Dies ist auch Thema in dem (sehr interessanten, aber auch recht theoretischen) Artikel Fetisch Soziale Netzwerke. Der Autor kritisiert darüber hinaus, dass die Social Networking Websites mit ihren vergleichsweise fest vorgegebenen Kommunikationsstrukturen eine starke Konkurrenz zum eher offenen Medium Email darstellen. Er vergleicht das mit einer "Einfriedung" eines Gemeinguts, das durch diese Einfriedung für ein einzelnes Unternehmen kommerziell nutzbar wird. Der Autor wundert sich über die fiktiven monetären Bewertungen von Facebook zwischen 6,5 und 15 Milliarden US$, obwohl das Unternehmen keine Profite in vergleichbarer Höhe erwirtschaftet. Er versucht es so zu erklären, dass hier ein Mehrwert aus der gebündelten Aufmerksamkeit der vielen Millionen Nutzer geschaffen wird (equivalent an einem nicht unbeträchtlichen Anteil der Lebenszeit der Nutzer). Diese Benutzer lassen sich durch Methoden wie Data Mining sehr effizient sortieren und kategorisieren und auch ohne Aufhebung ihrer Anonymität in verschiedene Werbe-Zielgruppen aufteilen.

Interessante Ideen zum Thema Selbstdarstellung (d.h. Aufmerksamkeit erhaschen) bringt ein langer Artikel aus dem Jahr 2006, Friendster lost steam. Is MySpace just a fad?. Danah Boyd analysiert, wie Friendster, als Vorreiter, seine Vormachtstellung verloren hat, weil MySpace Möglichkeiten zur Selbstdarstellung (z.B. durch Bilder oder Videos) toleriert hat, die bei Friendster unterdrückt wurden. Friendster entwickelte sich damals zur text-orientierten Dating-Site für Erwachsene, MySpace ermutigte jüngeres Publikum und neue Interaktionsformen.

Ein neuer Artikel Feb.2009 in der NY Times Being There führt diese Analyse weiter. Sie vergleicht auch Facebook gegen MySpace. 'The Facebook interface is minimalist and not stupid or smeared with fingerpaint like MySpace,' he (ein Benutzer von Facebook) said ..... 'It (Facebook) leaves room for wit.' So hat jede Social Networking Website ihren eigenen Stil und zieht damit andere Benutzergruppen an. Sie geht dann auf den Reiz von Micro-Blogging ein.

Untersuchungen zeigen, dass Social Network Beziehungen persönliche Freundschaften nicht ersetzen, sie ergänzen sie und stellen eine Kommunikationsmedium für einige diese Beziehungen zur Verfügung.

Ein guter Artikel aus dem Jahr 2006 "Friends, Friendsters, and MySpace Top 8: Writing Community Into Being on Social Network Sites" erklärt, warum ein Friend in Friendster oder Myspace nicht automatisch ein Freund im herkömmlichen Sinne ist, dass da nämlich auf Grund einer ganz neuen Form des Selbstausdrucks auch eine neue Form einer sozialen Beziehung entstanden ist. Sie zeigt an einzelnen Features, z.B. die "Top Friends"-Liste, wie kompliziert und hoch-emotional die Nutzung dieses Mediums sein kann.

Die grundlegenden Unterschiede zwischen Interaktionen in der realen und der virtuellen Welt sind für die Autorin:

  • Permanzenz - Äußerungen bleiben erhalten und können nur eingeschränkt gelöscht werden
  • Durchsuchbarkeit - Äußerungen sind über interne oder externe Suchmaschinen auffindbar
  • Reproduzierbarkeit - Äußerungen können, notfalls über die Zwischenablage (cut-and-paste) jederzeit weitergegeben werden
  • Unsichtbares und unbekanntes Publikum - Entweder nur die Freunde, die Freunde von Freunden, oder auch alle Welt kann die Einträge sehen, nur im ersten Fall habe ich eine gewisse Kontrolle über das Publikum

In Wikipedia finden sich mehr Informationen zu diesem Thema unter Soziales Netzwerk (Informatik).

 

 

 

Dating-Empfehlungen und Dating-Warnungen

Dating-Sites sind eine spezielle Variante von Social Networking Diensten, bei denen eben genau diese Funktion im Fordergrund steht. Wiederum ein Spezialfall sind dann Dating-Sites, auf denen Männer von ehemaligen Freundinnen angepriesen werden (mit dem Hintergedanken, dass eine Frau der Beurteilung durch eine Ex-Freundin wohl mehr traut, als der Selbstbeurteilung durch den Mann). (Das Gegenteil davon sind Websites, auf denen die Ex-Partner (angebliche) schmutzige Wäsche aus der vergangenen Beziehung preis geben).

Die NY Times berichtet im Februar 2006 von einem weiteren Trend im Internet. Es gibt immer mehr Websites, wo Frauen, und neuerdings auch Männer, ihre Ex-Partner kommentieren, d.h. normalerweise, schlecht machen können. DontDateHimGirl.com berichtet, dass dort 170 000 Frauen registriert sind und dass dort vor 3000 Männern gewarnt wird, die Frauen berichten anonym, die Männer werden mit Foto und anderen persönlichen Daten gezeigt. Wenn ein Mann sich ungerecht behandelt fühlt (und weiß, dass er dort schlecht gemacht wird), so kann er eine Erwiderung einsenden, die dann auch veröffentlicht wird. Der Schaden am guten Ruf ist aber wohl trotzdem geschehen.

Auf ManHaters.com können Frauen ihre Ex-Partner nach einem festen Schema bewerten. TrueDater.com wendet sich an beide Geschlechter. Wenn jemand glaubt, dass jemand anders sich inkorrekt auf einer Dating-Site darstellt, so kann er oder sie dies zusammen mit einem Link zum jeweiligen Profil berichten. Eine Redaktion prüft dann, ob der "Beschuldigte" das wirklich von sich behauptet, was da bezweifelt wird, z.B. ledig zu sein. Falls das Profil keine Angaben dazu macht, wird die Beschuldigung nicht veröffentlicht, ansonsten schon. Natürlich sind solche Website absolut nicht unproblematisch, denn erst mal muss man erfahren, dass man irgendwo schlecht gemacht wird und zweitens scheint es sehr schwer zu sein, diese Beurteilungen wieder aus dem Internet zu entfernen. Und es liegt der Verdacht nahe, dass dort nicht immer nur korrekt berichtet wird, da wird wohl hier und dort auch ein wenig Rache für empfundene Kränkung mit dabei sein.

 

 

 

Blogging

Blogging war ursprünglich, wenn eine Privatperson sein Tagebuch mit seinen Gedanken, Erlebnissen und Ideen im Internet veröffentlicht. Das klingt für den Internet-Außenseiter vielleicht bizarr, aber die bekanntesten Blogger haben heute ein größeres Publikum als die meisten Zeitungen. Die Themen der Blogger reichen von den privaten Erlebnissen bis zur Politik.

Das Erfolgsrezept der erfolgreichen Blogger liegt darin, dass der Journalismus heute meist sehr dröge und langweilig ist. Die Zeitungen sind voller ausgewogener Artikel, die keinem der Anzeigenkunden weh tun könnten und auch nicht der Zensur oder Selbstzensur durch die Vorgesetzten oder Zeitungseigentümer zum Opfer fallen. Viel spannender ist es, wenn jemand ohne Rücksicht auf solche wirtschaftlichen Überlegungen seine Meinung ins Netz stellt.

Die meisten Blogger nehmen wenig Rücksichten auf so etwas und das ist ihr Erfolgsrezept. Hier entsteht ein neues Konzept von Journalismus. Zum Teil sind es sogar Profi-Journalisten, die hier ihre wirkliche Meinung verbreiten, meist sind es jedoch mehr oder weniger brilliante Amateure, die bei entsprechender Publikumswirkung ein riesengroßes Publikum haben und für die das auch ein Weg zur Karriere sein kann. Bei dem demokratischen Wahlkongress Sommer 2004 waren zum ersten mal auch einige der bekannteren Blogger als Journalisten akkreditiert. Diese haben oft mehr Einfluss, als etablierte Zeitungen. So wurde der Monica Lewinski Skandal ursprünglich durch einen Blogger losgetreten und ebenso der Skandal um die Spyware, die Sony mittels seiner Musik-CDs auf Kundenrechnern installiert hat.

Diese Bewegung hat natürlich etwas emanzipatorisches (das Monopol der großen Publikationshäuser wird eingeschränkt), aber das Blogging hat auch dunkle Seiten, z.B. wenn über Blogs Lügen oder Hetze verbreitet werden und es noch weniger Möglichkeiten gibt als früher, sich dagegen zu wehren. Manche Firmen wehren sich gegen die Blogs ihrer Angestellten mit Kündigung.

Die Zahl der Blogs wird Mitte 2005 auf 10 - 50 Millionen geschätzt (März 2007: 70 Millionen Blogs lt. NY Times). Der Wegfall der bisherigen technischen und finanziellen Hürden die verhindert haben, dass eine Privatperson Tausende, Zehntausende oder Hundertausende von Mitbürgern erreicht, hat starke Auswirkungen darauf, wie wir die Welt erleben. Das zeigt sich u.a. an versuchen von Staaten wie dem Iran, Blogging- und ähnliche Websites zu verbieten und zu sperren. (Stand Nov. 2005)

Das Starten eines Blogs ist übrigens kinderleicht, es gibt zahhlreiche Websites, bei denen man nur noch den Namen des Blogs eingeben muss, einen Layout-Stil auswählen und schon kann man loslegen. Ein solches Beispiel ist blogger.com von Google. Da ist bereits alles vorprogrammiert, einschießlich der Möglichkeit der Leser, selbst Kommentare zu den Beiträgen zu schreiben.

 

Dez. 2013:
Ein Artikel in der NY Times berichtet, dass im Wettbewerb zwischen Bloggern und Journalisten die letzteren oft ins Hintertreffen geraten, weil der Trend zu immer schneller und immer aktueller geht. Das heißt sehr oft, dass die Journalisten den Bloggern hinterher hecheln - weil die Blogger irgendeine Meldung von Twitter ungeprüft übernommen haben und weil die Journalisten nicht zu Zeit haben, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Dramatische Beispiele waren die falschen Verdächtigen bei dem Marathon in Boston und der Absturz der Börse weil auf Twitter von einem Attentat gegen Obama berichtet worden war.

Einige der schnellen Blogging Websites wie Gawker, BuzzFeed, Huffington Post oder Mashable stehen sogar auf dem Standpunkt, dass alles was im Internet eine ausreichende Aufmerksamkeit erregt hat, bereits eine Nachricht ist, auch wenn es einfach nur erfunden ist. Da aber viele Leute immer noch auf dem Standpunkt stehen "Das MUSS war sein, ich habe es im Internet gelesen" führt das aber zu vielen Fehlinformationen und lässt sich auch leicht missbrauchen für den persönlichen Vorteil missbrauchen, wie z.B. ein solch gesteuerter Börseneinbruch.

 

 

 

Micro-blogging - Twitter u.ä.

Eine weitere Variation (oder Verschärfung) ist das micro-blogging (oder quick-blogging), z.B. wie auf twitter.com, tumblr.com oder Jaiku.com, das gerade (Ende 2007) von google gekauft wurde (weiter unten zum allgemeinen Blogging). Beim Micro-Blogging sendet der Teilnehmer einen fortlaufenden "activity stream", d.h. er oder sie berichtet ständig von seinen Aktivitäten, technisch unterstützt durch ein Mobiltelefon, von dem aus z.B. kleine Textmessages gesendet werden.

Das eigentliche Ziel ist jedoch größer (zumindest sagt das google), nämlich ein "holistic view of a person's life", d.h. eine ganzheitliche Sicht auf das Leben des Nutzers. Zitat des Gründers von Jaiku: "We extract a lot of information automatically, especially from mobile phones". Dies betrifft z.B. Standort, Fotos, welche Musik auf dem Gerät spielt, vielleicht auch, mit wem gerade telefoniert wird.

Also ich persönlich muss sagen, dass ich nicht wirklich möchte, dass meine Freunde ein "holistic view" meines Lebens haben. Und auf Twitter sind 90% aller Meldungen "an alle". Die New York Times berichtet von Selbstmord-Abschieds-Messages, die dann oft vielfältige Reaktionen von Fremden hervorrufen und manchmal wie ein Auffangnetz wirken können. Andere tragen ihre Beziehungsstreitigkeiten in den Microblog, mit teilnehmenden Reaktionen von Fremden. Andere sehen die Sache kritischer: es kann wie eine Sucht sein. Erst ein Blog, dann ein Blog mit Kommentaren, dann vollkommene Transparenz aller Gefühle und Tätigkeiten. Eine Kommentatorin nennt es "künstliche Intimität".

 

Noch viel mehr zur Problematik der schwindenden Privatsphäre durch die neuen Trends gibt es auf meiner Website sicherheitskultur.at. Weiter oben mehr zum Geschäftshintergrund für die Anbieter solcher Technologien und Websites.

 

 

 

Wikipedia und andere Kollaborationen

Quelle: userfriendly.org

Das ist eine Bewegung die es immerhin geschafft hat, die traditionellen Lexika und mehrbändigen Enzyklopädien wie Brockhaus und Encyclopedia Britanica vollständig vom Markt zu verdrängen. Das war im vorigen Jahrhundert nicht für möglich gehalten worden: Internet-Nutzer produzieren gemeinsam ein Werk, z.B. ein Lexikon, und zwar in einer chaotischen, unorganisierten Weise (seit 2001). Niemand ist der Chef, alle sind gleichberechtigt, niemand muss sich zuerst qualifizieren. Aber es scheint zu funktionieren. Hier ein Artikel in Salon.com (englisch) zum Thema Wikipedia (englisch). Es gibt auch eine deutsche Wikipedia, die aber nicht immer gleich vollständig ist, manche Artikel sind besser in der deutschen, manche in der englischen Version. Ein kurzer Hinweis zur Geschichte von Wikipedia hier.

Die Software hinter wikipedia steht als Open Source kostenlos zur Verfügung und wird heute mehr und mehr auch in anderen Bereichen eingesetzt. So wird z.B. berichtet (Mai 2006), dass der CIA Wikis einsetzt, um ihren Analytikern eine bessere Möglichkeit des Sharings von Informationen und der gemeinsamen Arbeit an einer Studie zu geben.

Als Kuriosität gibt es uncyclopedia, die mit dem gleichen Konzept eine riesige Menge vollkommenen Blödsinns produziert und dadurch ziemlich lustig ist. Sie beruht auf der gleichen Idee, jeder darf was schreiben. Probieren Sie einfach mal aus, suchen sie nach Begriffen und wenn sie Lust haben, können sie auch sofort, ohne Anmeldung, selbst eine Seite gestalten oder verändern. (auf englisch uncyclopedia.org)

 

 

 

Kleinanzeigen, Craigslist und andere Communities

Jänner 2006, ein interessanter Artikel über Craig Newman, den Begründer von Craigslist. Craig kommt aus der links-liberalen Szene und hatte bereits 93 begonnen, Listen von interessanten Sachen zu veröffentlichen, Wohnungssuche, Wohnungsangebote, günstige Gelegenheiten, interessante Veranstaltungen. Daraus ist jetzt die 7.-besuchteste Website geworden, mit 10 Mill. Besuchern pro Monat, die dort Kleinanzeigen aller Art veröffentlichen können (kostenlos bis auf Job-Angebote) und wenige andere Ausnahmen. Craig verweigert sich gegenüber Werbung, die wenigen Anzeigen, die Geld kosten, bringen immerhin geschätzte 20 Mill. pro Jahr.

Nicht alle lieben ihn, die lokalen Zeitungen gehen davon aus, dass er ihnen für 50 Mill. $ pro Jahr Kleinanzeigen stiehlt und das könnte das finanzielle Ende für viele Zeitungen bedeuten. Es war eben alles so eingespielt: Die Erstellung des redaktionellen Inhalts wird von den Anzeigenkunden subventioniert. Wenn jetzt aber jemand die Anzeigen verschenkt und dabei noch eine Community aufbauen kann, die weitgehend vom Gedanken des Altruismus getragen wird, so ist das für das Geschäft mit Kleinanzeigen eine ernsthafte Bedrohung.

Getreu seinen ideologischen Ursprüngen hat er schon längst das System, das alle Postings erst geprüft werden müssen (wie z.B. auf amazon.com) durch ein "Flagging System" ersetzt, bei der eine ausreichende Zahl von ein Posting automatisch wieder entfernt (ähnlich wie die Selbstregulierung bei Wikipedia, siehe oben).

 

 

 

MMORPGs (z.B. World of Warcraft)

MMORPG steht für "Massive Multiplayer Online Roleplaying Game". Es bezeichnet Spiele, bei denen der Spieler (oder die Spielerin) zwar allein vor dem Computer sitzt, aber im Spiel selbst mit oder gegen andere Spiele spielt, die vor ihrem jeweiligen Computer sitzen und über ein entsprechendes Netzwerk miteinander verbunden sind (oft ist dies das Internet, was extrem große Gemeinschaften von Spielern ermöglicht).

Traditionell waren diese Art von Spielen eher Kampfspiele, wie das heute (2006) wohl größte Spiel, World of Warcraft (WoW, mit geschätzten 7 Mio Spielern weltweit). World of Warcraft spielt in einer "Herr-der-Ringe"-Welt. Es ist eine extrem komplexe Welt und Spieler schließen sich oft in Gruppen zusammen, um komplexe Aufgaben zu lösen. Es hat sich eine ganze Industrie rund um WoW gebildet, mit tausenden von chinesischen Spielern, die gegen Geld Avatare für westliche Spieler stark machen und mit Ausrüstungsgegenständen versehen. Solche Avatare werden (bzw. wurden) auf eBay angeboten. Mehr dazu auch in meinem Blog auf sicherheitskultur.at.

Eine sehr interessante Studie hat den sozialen Aspekt von WoW (PDF, 2 MB) statistisch untersucht und mit "Alone Together" zusammengefasst. Sie kommen zu dem Schluss, dass das gemeinsame Spielen in den sog. Guilds oder den kleineren Partys oder Raids ein ganz wichtiger Aspekt der Attraktivität ist. Allerdings hat die statistische Untersuchung gezeigt, dass im Durchschnitt mehr als die Hälfte der Zeit allein gespielt wird (abgesehen von sehr hohen Schwierigkeitsleveln, die allein kaum zu bewältigen sind). Auch ist die Attraktivität von Spielfiguren, die auch gut allein agieren können (z.B. Hunter oder Warrior) größer als die von Priests, die nur schlecht allein agieren können. Trotzdem stellen die anderen Mitspieler einen wichtigen Faktor beim Erfolg von WoW aus. Die Studie geht davon aus, dass die anderen Spieler zumindest als Zuschauer (und Bewunderer) eine wichige Rolle spielen. Ein weiterer Aspekt ist, was als "alone together" zusammengefasst wurde: in WoW spielen ist analog dazu, ein Buch in einem belebten Kaffeehaus zu lesen. Man interagiert zwar nicht mit den anderen Gästen, aber man ist nicht allein, man hört ihre Gespräche als Geräuschkulisse (was bei WoW durch das Verfolgen der Hintergrund-Chat-Gespräche ebenfalls gegeben ist). Für alle, die sich für Details der Interaktionen in WoW interessieren, ohne Zeit im Spiel verbringen zu wollen, ist die Studie zu empfehlen)

Eine sehr interessante Beobachtung von mehreren Kommentatoren ist, dass Computerspiele und Arbeit sich immer stärker annähern (nach ca. 1/3 des Texts). In Grand Auto Theft IV muss der Spieler ein komplexes Netz von Beziehungen aufbauen und pflegen, Allianzen bilden und erhalten. Das ist nicht viel aufregender als die meisten Jobs. In fast allen dieser Spiele muss man "verdienen" (Credits, Gold, Waffen, Skill-Punkte) und kann diese dann wieder innerhalb des Spiels konsumieren und zwar sehr oft durch repetetive Tätigkeiten (die ja zum Teil an Goldfarmen in China ausgelagert werden). Viel näher an die reale Arbeitswelt kann ich eigentlich nicht kommen.

Vorweggenommen haben das Theodor Adorno and Max Horkheimer 1947 in der Dialektik der Aufklärung (pdf):

    Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozeß ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein. Zugleich aber hat die Mechanisierung solche Macht über den Freizeitler und sein Glück, sie bestimmt so gründlich die Fabrikation der Amüsierwaren, daß er nichts anderes mehr erfahren kann als die Nachbilder des Arbeitsvorgangs selbst. Der vorgebliche Inhalt ist bloß verblaßter Vordergrund; was sich einprägt, ist die automatisierte Abfolge genormter Verrichtungen. Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße. Daran krankt unheilbar alles Amusement. (Seite 57)

 

 

 

Second Life und andere Parallelwelten

Update 2023: Second Life, das auch 2023 immer noch existiert, aber nicht mehr viel Nutzer und Aufmerksamkeit hat war bis ca. 2010 die coolste Attraktivität im Internet. Es war/ist ziemlich genau das, was Mark Zuckerberg mit den Metaverse einmal erreichen möchte (allerdings ohne spezielle 3D-Hardware, einfach mit einer 3D-Darstellung wie in Computerspielen, aber immerhin mit einer eigenen virtuellen Währung, dem Linden-Dollar). Nun folgt der Text aus dem ersten Jahrzehnt des Jahrtausends:

Das Konzept, dass die Nutzer im Internet die Inhalte selbst erzeugen, ist mittlerweile auch für Spiele implementiert worden. Das Konzept steht im Mittelpunkt des Online-Spiels Second Life, das es seit 2003 in dieser Form gibt und dessen Ursprünge in 1999 liegen. Die Spielerzahl wird heute (2007) mit sechs Millionen registrierten Nutzern angegeben, von denen durchschnittlich zwischen 15.000 und 38.000 das System aktiv nutzen. Dieses "Spiel" bietet eine virtuelle Welt, in der Spieler aus aller Welt mittels ihrer Avatare miteinander agieren können (bis hin zu virtuellen Hochzeiten - die es aber in World of Warcraft auch gibt). (Ein Spiel im engeren Sinne ist Second Life aber eigentlich nicht, denn es gibt weder ein Ziel, das zu erreichen ist, noch eine Aufgabe, die erledigt werden muss. Es gibt (zumindest im Kerngebiet) auch keine Möglichkeit, sich mit anderen im Wettstreit zu messen.)

Dabei ist eine eigene Ökonomie entstanden. Benutzer kaufen vom Spieleanbieter virtuellen Grund und Boden (mit Spielgeld, Lindendollar, die sie mit richtigem Geld kaufen können), sie erzeugen dann mit Hilfe von entsprechender Software virtuelle Gebäude und Geräte,aber auch virtuelle Kleidung und Gegenstände und bieten diese den anderen Spielern an, gegen virtuelles Geld (das man z.B. auf eBay kaufen kann). Für September 2006 wurde der Umsatz zwischen Spielern in Second World mit 7 Mio. USD angegeben, das sind viele Arbeitsplätze, die auf diese Weise geschaffen wurden.

In Second Life finden keine Kämpfe statt (bzw. nur auf einer abgetrennten speziellen Insel), die Avatare machen einfach nur das, was "reale" Menschen auch tun, sie treffen sich und reden miteinander (eingetippte Texte, mittels Sprechblasen auf dem Bildschirm dargestellt). D.h. letztendlich ist es ein großer Chat-Room, der Unterschied besteht lediglich darin, dass zusätzlich zu den Texten noch die Avatare agieren, d.h. Körpersprache spielt eine Rolle, und statt einfach nur mit der anderen Person zu chatten, kann ich in Second Life dies auch bei einem virtuellen Abendessen in einer virtuellen romantischen Umgebung tun.

Und es muss auch durchaus nicht beim Reden bleiben. Wie gewöhnlicherweise gut unterrichtete Kreise berichten, ist eine der Hauptaktivitäten in Second Life der virtuelle Sex. Dafür werden den Avataren (gegen Zahlung des lokalen Geldes) virtuelle Geschlechtsteile verpasst, die dann virtuelle Spiele ermöglichen, für die es sogar spezielle Betten gibt. Und zu den oben erwähnten Arbeitsplätzen, die in Second Life geschaffen werden: ein guter Teil davon soll in der Escort-Szene sein.

Viele große Firmen haben dort für viel Geld Präsenzen errichtet. Allerdings kann man dabei auch leicht auf die allgemeine Begeisterung der Medien zu Second Life hereinfallen. Wired schreibt im Juli 2007 einen recht kritischen Bericht über Ernüchterung zu den Firmenpräsenzen in Second Life mit dem Ziel, einen echten Dialog mit Kunden zu finden. Hype-Beispiel Zitat eines Marketing Consultants: "So when people ask, 'Why Second Life?' I ask 'Why not?'". Und dabei geht es um Investitionen zwischen 100 000 und 500 000 $. An anderer Stelle gibt es mehr Hintergrund zu den Marketing Konzepten rund um Web 2.0.

Und solche Spiele ziehen natürlich auch Leute an, die nicht immer nur das Beste wollen, hier gibt es mehr zu Problemen in der Welt der Spiele. Ganz hässlich sind die Berichte über verschiedene Formen von sexuellen Missbrauch Minderjähriger in Second Life.

Second Life ist nur die bekannteste dieser künstlichen 3D-Welten, andere sind z.B. There (das 1 Million Mitglieder und einen etwas höheren Wettbewerbscharakter als Second Life hat), MTVs Virtual Laguna Beach (600 000 Mitglieder), Entropia Universe, Moove, Habbo Hotel und Kaneva oder die österreichische Welt papermint. Die Theorie solcher Welten wurde von Schriftstellern aus der Cyberpunk Szene entwickelt, so z.B. William Gibsons "Neuromancer" von 1984.

Spore ist ein neues Spielkonzept vom Entwickler der Sim Serie von Simulationsspielen. Es gehört auch zu dieser neuen Interaktivität, bei der die Anwender das Spiel weitgehend selbst gestalten. Es geht darum, dass die Spieler eine komplexe Welt selbst erzeugen/programmieren, bis hin zu ganzen "Zivilisationen". Und über das Internet können die Kreationen der Spieler dann mit den Kreationen der anderen Spieler interagieren. Auf der ersten Stufe müssen sich Amöben in Stil von Pac-Man ernähren und dabei den Fressfeinden ausweichen. Auf der 2. Stufe schaffen die Spieler mehrzellige Lebewesen (der bizarrsten Art, wenn sie das möchte, 5 Beine, 2 Köpfe sind kein Problem). Diese Lebewesen interagieren untereinander und auch mit Lebewesen, die andere Spiele im Internet erfunden haben und es findet eine Art von Evolution und ein Wettkampf ums Überleben statt. Auf der nächsten Stufe enwickelt sich Intelligenz, es müssen Gemeinwesen geschaffen werden (hier lässt SimCity grüßen). Und in der letzten Stufe gibt es Raumschiffe und der Spieler kann versuchen, auf andere Planeten erdähnliche Verhältnisse zu schaffen, eine Simulation rund im Treibhauseffekte und ähnliches. Und in dieser Stufe findet der Spiele auf der Reise durch das Weltall auch die Planeten der anderen Spieler und kann unter dessen Kreaturen wandern. Auf diese Weise soll ein riesiges Universum entstehen. (Wie das konzeptionell aussieht, zeigt eine Animation auf der Startseite).

Auch in solchen Welten gibt es Kriminalität und Bankenzusammenbrüche. Hier einige Artikel dazu: Virtual Rape, Bank in sci-fi game EVE bricht zusammen, Second Life's Ginko Financial Flounders with $750,000 in Unpaid Liabilities. Mehr dazu auch auf meiner Website sicherheitskultur.at.

 

 

 

Neue Entwicklung "OpenSocial"

Oktober 2007: die finanziellen Bewertungen von Social Networking Websites schießen senkrecht in die Höhe. Facebook bekommt eine Finanzspritze von 240 M$ von Microsoft, auf den Anteil umgerechnet entspricht das einer Bewertung von 10 - 15 Milliarden $ ($300-500 per user), noch 2005 wurden für MySpace, der Nummer 1 bei den Social Networking Sites "nur" 35 $ pro Nutzer gezahlt. Diese Summen werden ja nicht von ungefähr gezahlt. Sie beruhen darauf, dass die Investitoren sich vom Zugriff auf diese Seiten und die Profile eine gezieltere Werbung versprechen, d.h. was wirklich gekauft wird sind Zugriff auf persönliche Informationen.

Die neue Entwicklung, die vieles auf diesem Gebiet ändern könnte, ist ein Google Projekt "OpenSocial". Google hat mit seiner eigenen Social Networking Website Orkut nur in Brasilien einen Erfolg, in den USA sind sie weit abgeschlagen. Das Ziel von OpenSocial ist, eine funktionelle Kompatibilität zwischen allen diesen Websites zu schaffen, das heißt man braucht nur 1 mal registiert zu sein und man sieht auch Kontakte, die auf anderen Websites registriert sind. Derzeit nehmen Teil: MySpace, Bebo (Marktführer in England), SixApart, Hi5, Friendster, LinkedIn, Ning und Orkut. (Die Software ist aber noch lange nicht fertig, dies sind erst mal nur Konzepte).

Und es gibt noch weitere Pläne. Diese Software soll es auch ermöglichen, dass Websites, die gar keine Social Networking Sites sind, z.B. craigslist oder YouTube damit zu social network-fähig werden. D.h. ich kann auf YouTube gehen und dorthin ihre Freunde von MySpace oder Orkut mitnehmen. D.h. man dann auch auf YouTube "kollaborieren", z.B. mit seinen Freunden gemeinsam von einem Film zu anderen surfen.

Wenn es mag, dass immer alles im Freundeskreis und gemeinsam durchgeführt wird, so ist das vermutlich ganz toll. Anderseits wird auf diese Weise noch mehr Gruppendruck (neudeutsch: Peer Pressure) erzeugt. Und jede Verletzung der Privatsphäre, sei es durch die Freunde (die in ihrem Tagebuch Geheimnisse ausplaudern), durch externe Profis (die mit einigen Tricks Profile "abernten" und auswerten) oder auch durch Schlampigkeiten oder Neugier der Angestellten des Website-Betreibers (es gibt Gerüchte in diese Richtung), wirkt sich noch viel stärker aus als jetzt schon (siehe der Link weiter oben zur Studie von ENISA). Und das Google hier als Initiator auftritt, macht in Richtung auf Datenschutz wenig Vertrauen. Google ist bekannt als notorischer Datensammler.

Der Business-Hintergrund

Der Business-Hintergrund wurde Nov. 2007 von Facebook-Gründer Zuckerberg sehr deutlich gemacht: Facebook Social Advertising. Die Idee dahinter ist, dass Freunde sich gegenseitig beeinflussen und wenn der eine gerade berichtet, dass er eine Cola trinkt, so ist Coca Cola sehr daran interessiert, dass dies auch allen seinen Freunden berichtet wird (technisch kann dies in der Form von Micro-Blogging ablaufen. Zitat "Through Facebook Ads, these users can now learn about new businesses, brands and products through the trusted referrals of their friends." Dies geschieht z.B. durch Facebook Beacon. Ein Online-Shop bietet dann beim Abschluss eines Kaufs im Internet einen Automatismus, über den alle Freunde des Käufers über den Kauf informiert werden.

Das heißt, das Leben der einzelnen Teilnehmer wird nicht nur sehr transparent (nicht nur gegenüber den Freunden, auch gegenüber den Werbetreibenden), sondern das Leben dient vor allem als Werbeplattform für die Vertragsunternehmen des Betreibers der Social Networking Website. Und die Teilnehmer können die Firmen auch in ihre Gruppe von Freunden aufnehmen. Viele junge Leute definieren sich heute über die Brands die sie tragen oder konsumieren, da kann ich mir gut vorstellen, dass man mit einem coolen Brand befreundet sein möchte. Und das bedeutet dann auch, dass damit die Privatsphäre gegenüber dem Unternehmen genauso aufgehoben ist, wie zu den übrigen Freunden.

Nicolas Carr beschreibt und analysiert das sehr gut in seinem Blog. "It's a nifty system: First you get your users to entrust their personal data to you, and then you not only sell that data to advertisers but you get the users to be the vector for the ads. And what do the users get in return? An animated Sprite Sips character to interact with."

 

 

 

Das Internet als Dynamo und die Erweiterung des Intellectual Property Begriffs als Bremse

Eben Moglen verwendet ein sehr schönes Bild für die Fähigkeit des Internets, seine Benutzer zu neuen Ideen anzuregen. Er vergleicht es mit der Induktion, die Faraday entdeckt hat:

    "Faraday first noticed what happens when one wraps a coil of wire around a magnet. Never again did we ask what incentive there is for electrons to flow in the wire. So I offer you Moglen's Corollary to Faraday's Law:

    "If you wrap the Internet around every brain on the planet, knowledge flows in the network." That's induction, and the only question is, what is the resistance of the wire? Resistance, according to Moglen's Corollary to Ohm's Law, is directly proportional to the field strength of the intellectual property system."

Daraus folgert er, dass die derzeitige immer stärker um sich greifende Erweiterung des Bereichs des Intellectual Property Systems eine extrem bremsende Funktion auf die freie Weiterentwicklung und Kreativität hat. Diese Einschränkungen betreffen z.B. die neuen Möglichkeiten, Geschäftsideen patentieren zu lassen, auch ohne dass eine Idee besteht, wie die Idee technisch umgesetzt werden könnte. Das treibt so bizarre Blüten wie ein Patent auf den Hyperlink, auf den "single click shopping" von amazon.com, u.ä.

Oder die Möglichkeiten, Gen-Sequenzen patentieren zu lassen, die ständige Verlängerung der Jahre, für die der Autor das alleinige Nutzungsrecht hat, vor kurzem wieder verlängert, als die Rechte für Micky Maus auszulaufen drohten. Das ist sehr gut dargestellt in The Second Enclosure Movement von James Boyle. Er vergleicht diese Bewegung mit der first enclosure movement in England im Mittelalter, wo die traditionellen "Commons" privatisiert wurden und das mit der Begründung und nachträglichen Rechtfertigung, dass Land im Privatbesitz effektiver bewirtschaftet wird und das wäre zum Wohle aller. Die gleiche Begründung wird jetzt für die Erweiterungen des Copyright- und Patentbegriffs verwendet: nur die Übergabe von Gensequenzen in private Hände zur Auswertung ermöglicht es, dass diese privaten Hände genügend Geld investieren, so dass damit Produkte geschaffen werden können. Dies ist aber sowohl für das England des Mittelalters, wie auch für heute durchaus umstritten. Als Gegenbeispiel können die vielen gemeinschaftlichen Aktivitäten auf freiwilliger Basis gesehen werden, vom der Open Source-Bewegung, die uns Linux und tonnenweise andere Software gegeben hat bis zur Wikipedia, an der eine große Zahl von Menschen kostenlos arbeiten und etwas sehr sinnvolles und produktives zustande bringen.

Ebenfalls sehr interessant ist Anarchism Triumphant: Free Software and the Death of Copyright from Eben Moglen.

 

 

 

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